50 Jahre Sozialpsychiatrischer Dienst: Krisenfeste Bindungen - gegen Isolation und Einsamkeit

Der Sozialpsychiatrische Dienst (SPDI) der Stadtmission gewinnt in seinem Jubiläumsjahr den Hauptpreis des diesjährigen Diakonie-Wettbewerbs in Bayern für  langjährige Ehrenamtsarbeit. Schon die Gründung des SPDI vor genau 50 Jahren geht auf die ehrenamtliche Initiative zweier Frauen zurück. Auch einige der heutigen Freiwilligen sind seit über 37 Jahren aktiv.

(v.l.): Dr. Sabine Weingärtner und Anke Frers mit der langjährigen Ehrenamtlichen Elisabeth Klughardt bei der Preisverleihung.

1972 begann alles mit dem »Stehaufmännle-Club«, den zwei Frauen in Nürnberg ins Leben riefen. Mit der Kontaktgruppe wollten sie der sozialen Isolation entgegenwirken, in die viele psychisch erkrankte Menschen nach ihrer Klinikentlassung gerieten, weil es zur damaligen Zeit keine ambulanten Hilfeangebote für sie gab. Die beiden Frauen mussten ihre Initiative gegen viele Widerstände, insbesondere aus psychiatrischen Kliniken durchsetzen: Denn lange und häufige Psychiatrieaufenthalte galten in den frühen Siebzigern als bewährtestes Mittel, um seelisch Erkrankten zu helfen. Mit offenen Gruppentreffen und Wochenendfreizeiten dagegen etablierte der Stehaufmännleclub in Nürnberg das Prinzip Selbsthilfe. Die Zahl der Ehrenamtlichen und Hilfesuchenden wuchs. 1975 koordinierte eine erste hauptamtliche Mitarbeiterin den Stehaufmännleclub, aus dem 1977 schließlich eine psychosoziale Beratungsstelle entstand. Bis heute sind im SPDI neben inzwischen 22 Hauptamtlichen etwa 30 ehrenamtliche Mitarbeitende aktiv, davon 13 seit über 10 Jahre, sieben seit mehr als 25 Jahren.

Ausgezeichnete Beziehungsarbeit für psychisch Erkrankte

Bei der Preisverleihung am gestrigen Montag würdigte Diakoniepräsidentin, Dr. Sabine Weingärtner, diese Kontinuität im SPDI der Stadtmission: »Gerade in einer Zeit des raschen gesellschaftlichen Wandels gewinnen Tradition und Ausdauer im Ehrenamt besondere Qualität.« Die langjährige Mitarbeit sei die Basis für viele »enge, vertrauensvolle Beziehungen und Freundschaften«. Deren Wert sei enorm, erlebe man demgegenüber doch wie psychische Krisen, soziale Isolation und Einsamkeit auch pandemiebedingt zunehmen.

Erstmals in der Geschichte des bayerischen Diakoniewettbewerbs wurden 2022 Ehrenamtsinitiativen ausgezeichnet, die sich für Menschen mit psychischen Erkrankungen einsetzen. Anke Frers, Leiterin des Nürnberger SPDI, erklärt, warum in der Sozialpsychiatrie verlässliche, ausdauernde Beziehungen so bedeutsam sind: »Unseren Klienten fällt es angesichts ihrer Lebenserfahrungen und Krankheitsbilder nicht leicht zu vertrauen. Umso wertvoller, wenn sie unsere Ehrenamtlichen als Vertrauensmenschen erleben«, erklärt sie. Manche Klienten*innen sprächen sich sogar lieber mal bei einem engagierten Laien anstatt bei den Sozialpädagogen*innen aus, weil diese ihnen ohne fachliche Brille begegneten, erzählt sie. Gelegenheiten gebe es im Julius-Schieder-Haus, wo der SPDI der Stadtmission seinen Sitz hat, dafür viele: Etwa 30 Ehrenamtliche sind derzeit im Sozialpsychiatrischen Dienst eingebunden und gestalten dort Angebote wie den Chor, das Kaffee-Gespräch, Handwerks- und Sportgruppen. Oder sie betreuen einzelne Männer und Frauen in einer Art Patenschaft.

Der Sozialpsychiatrische Dienst der Stadtmission Nürnberg teilt sich den mit 4.000 EUR dotierten Hauptpreis des bayerischen Diakoniewettbewerbs mit dem SPDI des Diakonischen Werks Regensburg.

50 Jahre Pionierarbeit in Nürnberg

Neben seiner langjährigen Ehrenamtsarbeit zeichnet sich der SPDI durch etliche Pionierprojekte aus, die die Versorgung psychisch erkrankter Menschen in Nürnberg kontinuierlich verbessert und ausdifferenziert haben.

So gründete der SPDI 1981 auch die ersten Wohngemeinschaften für Menschen mit seelischen Erkrankungen in Nürnberg. Seit den frühen 90ern betreut er ambulant und stadtweit Erkrankte in ihren Privatwohnungen. 2013 rief die Einrichtung zudem das Projekt »Wohnen in Gastfamilien« ins Leben, mit dem Klienten*innen nicht nur ein autonomes Wohnen ermöglicht, sondern ihre Einbindung in soziale Netzwerke erleichtert werden sollte.

Und schließlich: Arbeitsassistenz, Tagesstätten, Angebote für traumatisierter Flüchtlinge, mobile, sozialpsychiatrische Notfall-Teams. Über 1000 Klienten*innen werden heute jährlich von den Sozial- und Heilpädagogen*innen des Dienstes versorgt.

Und so bekundet Stadtmissions-Vorstand Markus Köhler: »Wir sind stolz auf diese langjährige Expertise. Diese Einrichtung ist die Wiege unseres heute so vielfältigen und spezialisierten sozialpsychiatrischen Angebotes in der Stadtmission Nürnberg.«

 

 

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg