Es waren die Eltern drogenabhängiger Jugendlicher, die 1972 dafür sorgten, dass die Stadtmission Nürnberg die erste »Drogenberatungsstelle« in Nürnberg einrichtete. Auch Beratungsangebote zur »Trinkerhilfe hatte es unter dem Dach der Stadtmission schon vorher gegeben, mit dem 1972 eröffneten Stützpunkt in der Bucher Straße aber galt es ein neues Publikum zu erreichen: Junge Leute, die beim Experimentieren mit Drogen wie LSD, Heroin, Meskalin und ähnlichen Substanzen abgerutscht waren. »Das war eine ganz freie Szene, in der alles Mögliche konsumiert wurde. Es ging auch um Bewusstseinserweiterung, um Protest«, erzählt Michaela Scheindel-Roth, die bereits in den Gründungsjahren mitarbeitete und die Drogenberatungsstelle seit 1986 über Jahrzehnte leitete. »Wir wurde anfänglich eher als Amt gesehen. Doch dieses Image wollten wir nicht haben – so entstand unser Kontaktkeller mit Matratzen, Teeküche und Schmalzbroten.« Bis in den späten Abend hinein empfing man dort drogenabhängige Jugendliche, betreute sie beim Entzug zuhause und schickte Streetworker zu den Szene-Hotspots der Stadt, etwa dem KOMM am Nürnberger Bahnhof.
Mit dem Angebot neuer Drogen expandiert auch die Suchthilfe-Landschaft
Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre kam in Nürnberg wie auch in vielen anderen deutschen Großstädten Schwung und Struktur in die Drogenhilfe. Zusätzlich zu ihrer Beratungsstelle eröffnete die Stadtmission ein Therapiezentrum in Wolkersdorf und richtete in der Nürnberger Innenstadt ihre erste Wohngemeinschaft für Menschen ein, die ihre Drogenabhängigkeit gerade überwunden hatten. »Für die Stadtmission Nürnberg war das eigentlich der Anfang des Therapieverbundes, für die wir heute mit unseren verschiedensten Einrichtungen der Suchthilfe stehen«, erklärt die heutige Einrichtungsleiterin des Suchthilfezentrums (SHZ), Erica Metzner. Auch die Nürnberger mudra e. V., bis heute spezialisiert auf die Arbeit mit Drogenkonsumierende, entstand in dieser Zeit – Norbert Wittmann, geschäftsführender Vorstand von mudra, kommentiert heute: »Eigentlich ist das Suchthilfezentrum so etwas wie die Mutter der Drogenhilfe in Nürnberg«.
Neue Sucht-Potenziale und Hilfeansätze in jedem Jahrzehnt
»Jede Zeit hat ihre Suchtmittel«, sagt Erica Metzner. Und so entwickelte sich auch die »Drogenberatung« der Stadtmission zu einer breit aufgestellten »Suchtberatung«, deren Schwerpunkt sich zunehmend auf legale Suchtmuster und –mittel, wie Alkohol und Glücksspielsucht verlagerte.
»Dass die weit verbreitete Alkoholabhängigkeit eine Erkrankung und keine Charakterschwäche ist, das begann man ja auch erst in den 70er Jahren zu begreifen. 1968 hatte die WHO Alkoholsucht als Krankheit anerkannt. Und heute noch ist der Alkohol mit Abstand das Suchtmittel, das den Großteil der Hilfesuchenden im SHZ beschäftigt. Das liegt an der Verfügbarkeit aber ganz sicher auch an dem gesellschaftlichen Problembewusstsein, das seit den 70ern stetig zugenommen hat – hier in Nürnberg sicher auch ein bisschen durch unsere Arbeit«, erzählt Metzner.
Generell, sagt Michaela Scheindel-Roth, sei die Arbeit des Suchthilfezentrums seit den 80er Jahren »immer umfangreicher, differenzierter und professioneller« geworden: »In den 90er Jahren sind wir mit unseren Leuten z.B. einfach in die Entgiftungsstationen der Kliniken und in die JVAs reingegangen. Und wir haben Außenstellen im Nürnberger Land aufgemacht«, so die damalige Einrichtungsleiterin. Heftige Diskussionen habe man in den 90ern darüber geführt, ob und welche geschlechterspezifischen Ansätze es bräuchte. Aus dieser Debatte sei auch Lilith e.V. hervorgegangen, der sich bis heute in Nürnberg ausschließlich um drogenabhängige Frauen kümmert. In der Beratungsstelle der Stadtmission hingegen startetet die frauenspezifische Suchtberatung 1995 als eigenes Arbeitsfeld.
»Die neuen Herausforderungen der Nuller-Jahre waren für uns jugendliche ,Komasäufer‘, wie man sie damals nannte, die mit Aufkommen von Alko-Pops und Co. immer mehr wurden. Und nicht zu vergessen: Pathologische Glücksspieler«, schildert Metzner und freut sich, dass aus vielen Pionierprojekten des SHZ längst etablierte Beratungsbereiche geworden sind, die aus der fränkischen Suchthilfelandschaft nicht mehr wegzudenken wären. Ob für experimentierende Teenager oder pflegebedürftige Alkoholabhängige, ob für notorische (Online-)Zocker oder vermeintlich unauffällige Familien- und Karrieremenschen, die ohne leistungssteigernde Medikamente nicht mehr auskommen – für alle gäbe es heute spezialisierte Profis beim SHZ, die Betroffenen persönlich aber auch anonym und online helfen.
Suchthilfezentrum heute
Derzeit holen sich jedes Jahr etwa 2000 Personen aller Altersklassen Hilfe im Suchthilfezentrum Nürnberg. Davon sind drei Viertel selbst von einer Abhängigkeit betroffen, ein Viertel ratsuchende Angehörige. Das Suchtmittel Alkohol macht dabei den Löwenanteil der Arbeit aus: 75 % aller Beratungen im SHZ beziehen sich auf diesen legalen Suchtstoff. Und immer gilt: Alle Angebote des SHZ werden auf den individuellen Bedarf der jeweiligen Klienten*innen abgestimmt. Sie reichen von Informationsgesprächen, langfristigen Betreuungen und Vermittlungsleistungen, über ambulante Entwöhnungsbehandlungen und Nachsorge bis hin zu moderierten Gruppenangeboten.