»Unsere Klienten sind erwachsen geworden«, bilanziert Dr. Katharina Iseler (50), Leiterin des Betreuungsvereins der Stadtmission, über die Entwicklung ihrer Einrichtung. Noch bis in die 80er Jahre hinein kümmerte sich der Verein fast ausschließlich um Waisen und Heimkinder. Denn zwei Weltkriege hatten zahllosen Kindern in Nürnberg die Eltern genommen. Jetzt brauchten sie einen Vormund. So lag das Kerngeschäft des Betreuungsvereins, der bis in die 90er Jahre noch unter Evangelische Jugendhilfe firmierte, darin, Vormundschaften für Minderjährige zu führen sowie Pflege- und Adoptionseltern zu vermitteln. Im Laufe der 70er Jahre kamen zunehmend auch geistig und psychisch beeinträchtigte Erwachsene zu den Klienten*innen dazu. Auch für sie übernahm die Einrichtung die Vormundschaft. Klient*innen – auch erwachsene – hießen damals noch Mündel. Zwischen ihnen und ihren Vormündern bestand ein ausgeprägtes Machtgefälle.
Das änderte sich mit einer Gesetzesnovelle im Jahre 1992 – der wohl entscheidende Wendepunkt in 100 Jahren Geschichte des Betreuungsvereins: Aus dem bis dahin geltenden Vormundschaftsgesetz wurde das sogenannte Betreuungsgesetz. »Kein erwachsener Mensch in Deutschland kann seither noch entmündigt werden«, erklärt Iseler. Betreute und Betreuer*innen arbeiteten seither auf Augenhöhe zusammen.
Auch 2019 hält die 50-Jährige das Gesetz von 1992 noch für klug formuliert und mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. Letzteres wird von Juristen und Sozialverbänden immer wieder diskutiert. Dazu meint die promovierte Sozialwissenschaftlerin, die selbst viele Klienten*innen als gesetzliche Betreuerin vertritt: »Wenn Menschen nicht gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention vertreten werden, sprich ihr Wunsch und Wille übergangen wird, dann liegt das nicht am Gesetz, sondern an einer schlechten Ausführung«. Doch Katharina Iseler ist überzeugt, dass sich die große Mehrheit der von den Amtsgerichten eingesetzten Betreuer*innen – so auch ihr Team –im Auftrag der Klienten*innen als »Manager auf Zeit« verstehe.
Menschen Selbstständigkeit ermöglichen
Es war ein Vater in seinen Vierzigern, an den sich Katharina Iseler gern erinnert, wenn sie nach einer Erfolgsgeschichte aus ihrer Arbeit gefragt wird: Verstrickt in Familienkonflikte um das Sorgerecht seiner Tochter, überschuldet und immer wieder von Depressionen überwältigt, wurde der junge Vater – nennen wir ihn Markus Conradi – vor einigen Jahren an die hauptberufliche Betreuerin und Sozialwissenschaftlerin vermittelt. Nichts war Markus Conradi wichtiger, als weiter für seine kleine Tochter sorgen zu können, obwohl er aufgrund seiner psychischen Erkrankung bereits mit den eigenen Angelegenheiten überfordert war. Katharina Iseler begleitete den Mann über drei Jahre. Aus einem schwierigen Arbeitsverhältnis, das aufgrund seiner psychischen Krisen ruhte, brachte sie ihn in die Erwerbsminderungsrente, die sich Markus Conradi heute mit einem Minijob ergänzt. Außerdem handelten Iseler und der junge Vater Kompromisse mit Conradis Gläubigern aus, sodass dessen Schulden inzwischen reguliert sind. »Als all das geklärt war, konnten wir uns schließlich dem widmen, was für den Mann das Wichtigste war: Die Sorge um seine Tochter.« So schaltete sich Iseler auch in die familienrechtlichen Angelegenheiten von Markus Conradi ein. Zusammen mit den beteiligten Behörden suchten sie nach der besten Lösung für die fünfjährige Tochter. Die 50-Jährige lächelt: »Conradis Tochter lebt heute wieder bei ihrem Papa, der sich gut um sie kümmert und meine Betreuung nicht mehr braucht.«
Natürlich sind Fälle wie dieser nicht die klassischen. »Häufiger sind psychisch und geistig beeinträchtigte Menschen, für die wir über viele Jahre hinweg die Alltagsgeschäfte in den Bereichen Finanzen, Gesundheit und Behörden regeln.« Willkür gibt es dabei übrigens nicht: Essentielle Entscheidungen z.B. über eine klinische Unterbringung oder einen Umzug können gesetzliche Betreuer*innen für ihre Klient*innen nur mit richterlicher Genehmigung veranlassen. Auch das Vermögen von Klienten*innen ist geschützt, weil Finanz- und Vermögensstände der Betreuten jährlich von den Gerichten kontrolliert werden und alle für sie getätigten Ausgaben dokumentiert und erklärt werden müssen.
Bayernweit sind Ehrenamtliche die wichtigsten Betreuer*innen
Etwa 60 % der gesetzlichen Betreuungen werden in Bayern von Ehrenamtlichen übernommen. Meist sind das Angehörige. Gerade in Nürnberg aber gibt es einen steigenden Bedarf an ehrenamtlich Engagierten, die die gesetzliche Betreuung für fremde Menschen übernehmen. »In der Großstadt leben mehr Alleinstehende und sicherlich auch mehr Menschen in prekären sozialen und materiellen Verhältnissen ohne Anbindung«, erklärt Iseler. Etwa 85% der Menschen, für die Betreuer*innen gesucht werden, brauchen Hilfe, weil sie durch psychische Erkrankungen oder geistige Einschränkungen nicht in der Lage sind, ihre existenziell notwendigen Angelegenheiten selbst zu regeln. Gesetzliche Betreuer*innen helfen ihnen, ihre amtlichen, finanziellen, gesundheitlichen und mitunter auch sozialen Verhältnisse im Griff zu behalten. »Sie sind gewissermaßen Manager für ihre Betreuten und ermöglichen ihnen, jenes selbstständige Leben zu führen, das sie sich vorstellen.« Katharina Iseler nennt das auch »die Fähigkeitslücken von Menschen kompensieren«. Wichtig ist ihr aber auch, dass gesetzliche Betreuer*innen keine direkten Dienstleistungen erbringen: »Wir räumen unseren Klienten*innen nicht die verrümpelte Wohnung auf – wenn, dann organisieren wir eine Haushaltshilfe.« So müssen gesetzliche Betreuer*innen nicht nur eine Menge Organisationsgeschick haben, sie müssen empathisch sein und fähig, auch radikal andere Lebensentwürfe ihrer Klienten*innen zu ermöglichen und mitzutragen. Da stecke viel Verantwortung in der Aufgabe. »Letztlich suchen wir kooperative Menschen mit Führungsqualitäten als ehrenamtliche gesetzliche Betreuer«, bringt es die promovierte Sozialwissenschaftlerin auf den Punkt. Profiniveau in allen juristischen Fragen, in Finanz- und Behördenangelegenheiten aber werde von keinem Ehrenamtlichen erwartet. Denn dafür gebe es ja die Betreuungsvereine wie den der Stadtmission, die den Ehrenamtlichen jederzeit fachliches Backup und kollegiale Beratung bieten.
Um neue ehrenamtliche Betreuer*innen anzuwerben und in die gesetzliche Betreuung einzuführen, lädt der Arbeitskreis Gesetzliche Betreuung Nürnberg am Montag, 23. September 2019 um 18.00 Uhr zu einer Infoveranstaltung ein. Treffpunkt ist in der AWOthek, Karl-Bröger-Straße 9, 90459 Nürnberg. Auch der Betreuungsverein der Stadtmission ist in dem Arbeitskreis organisiert.
Gut aufgestellt: Der Betreuungsverein der Stadtmission heute
Im Betreuungsverein der Stadtmission Nürnberg sind heute sieben Mitarbeiterinnen beschäftigt, davon zwei Verwaltungsangestellte. Aktuell führen die Mitarbeiterinnen des Betreuungsvereins der Stadtmission rund 140 gesetzliche Betreuungen, kümmern sich darüber hinaus um viele ehrenamtliche Betreuer*innen und organisieren Veranstaltungen, in denen sie Menschen über Vorsorgefragen aufklären und beraten.