Die Corona-Krise gilt auch als Brandbeschleuniger für häusliche Gewalt. Das bestätigen erste Studien der letzten Monate. Doch selbst ohne Pandemie und Lock-Downs sind bekannte Zahlen alarmierend: Allein 20-30 % der Frauen in Deutschland erleben mindestens einmal in ihrem Leben partnerschaftlicher Gewalt. 80% der Tatverdächtigen sind laut der Bayerischen Polizei Männer. Wie viele Männer dagegen selbst Opfer sind und unter physischer oder psychischer Misshandlung zuhause leiden, ist noch kaum erforscht.
Sozial angepasst, überfordert, gewaltvoll
Seine jüngste Tat war gerade zwei Tage her, als Stephan Weilheim* von der neuen Nürnberger Fachstelle für Täter*innen häuslicher Gewalt in der Zeitung las. »Das könnte es sein«, dachte sich der 48-Jährige und nahm Kontakt zu Susanne Scharch und Felix Ter-Nedden auf. Die beiden, von Hause aus Sozialpädagogin und Psychologe, stellen das mittelfränkische Hilfeteam für Menschen, die Gewalt in ihrer Familie ausüben und beenden wollen. Über seine erste Begegnung mit Stephan Weilheim sagt der Psychologe Ter-Nedden: »Da war sofort spürbar, der Mann hat ein extrem hohes Stresslevel, da ist Angst, da ist Ohnmacht«.
Stephan Weilheim erfüllt nicht das Stereotyp des prügelnden, stetig aggressiven Mannes: Zwar zieht sich die Gewalt als Mittel und Thema durch sein Leben – nur selten aber kommt sie mit Fäusten zum Ausdruck. Stattdessen: Psychische und verbale Gewalt, soziale Kontrolle und Einengung der Partnerin. Über Banalitäten – seien es Schmutzränder auf der Couch oder ein verloren gegangener Einkaufsbeleg – eskalieren regelmäßig die Konflikte zuhause.
Für viele, solch subtile Formen von Gewalt seien Menschen kaum sensibilisiert. Auch in Kriminalstatistiken fänden sie sich selten wieder, sagt Sozialpädagogin Susanne Scharch und nennt Beispiele. »Menschen kontrollieren oder unterbinden systematisch die Freundschaften ihrer Partner, sie kontrollieren ihre Finanzen, sie verfolgen jeden ihrer Schritte oder demolieren die Einrichtung zuhause«.
Auch Weilheim schreit, droht, schubst. Oder er schweigt eisern. Und dann doch irgendwann und einmalig: Schläge ins Gesicht der Partnerin. »Er war aufgewühlt, erschrocken. Und man merkte: Er steht an einem Tiefpunkt seines Lebens«, erzählt Ter-Nedden. Auch wenn Stephan Weilheim kein Klischee erfüllt, einige bekannte Täter-Muster kennzeichnen auch ihn: »Nur in der Familie – dieses Prinzip ist oft für die sozial angepassten Täter typisch. Außerhalb ihrer Familien sind das unauffällige, meist beruflich etablierte Persönlichkeiten.« Zur Gewalt würden sie u.a. greifen, weil es ihnen nicht gelinge, Konflikte zu deeskalieren oder verbal auszuhandeln, die eigenen Emotionen zu regulieren und: eigene Verletzungen anzusprechen statt anzustauen, erklärt Sozialpädagogin Susanne Scharch.
Hilfe für Täter: Freiwillig, aber nicht bedingungslos
Im Oktober 2020 startete das Duo mit dem ersten Trainingsprogramm für Männer, die im häuslichen Kontext gewalttätig geworden sind. Bemerkenswert dabei: Bisher meldeten sich dafür ausschließlich Väter – aus eigenem Antrieb.
Mitunter stünden sie aber auch unter äußerem Druck, erklärt Ter-Nedden. »Zum Beispiel wegen einer richterlichen Empfehlung während eines Strafverfahrens oder eines Sorgerechtsstreites. Oder die Frau steht kurz davor, mit den Kindern auszuziehen.«
Der Intensivkurs, zu dem 25 Gruppensitzungen und ergänzende Einzelgespräche zählen, ist neu in Mittelfranken und – anders als viele Antiaggressionstrainings – kostenlos. Voraussetzungen für jeden Teilnehmer gibt es dennoch: Die Täter müssen ernsthaft bereit sein, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und an sich zu arbeiten. Wie, erklärt Felix Ter-Nedden: »Wo und wann spüre ich meine Wut, meinen steigenden Stresspegel? Wie kann ich eskalierende Situationen unterbrechen? Was macht meine Gewalt mit meinem Opfer und nicht zuletzt mit meinen Kindern?«
Fragen wie diesen stellte sich auch Stephan Weilheim. Und er begann sein eigenes, überzogenes Männlichkeitsbild zu hinterfragen, erzählt Ter-Nedden. »Weil er sich immer auch um seinen Sohn und seine Vaterrolle sorgte.« Nach acht Monaten Training, sagt Susanne Scharch, habe Weilheim »seinen starren Blick lockern können«. Er sei kommunikativer geworden und bekäme inzwischen schnell mit, wenn sein Erregungslevel steige. »Jetzt geht er immer direkt raus zum Rauchen.« Auch die erste »Bewährungsfrist« für seine Beziehung habe er geschafft. Für Stephan Weilheim ist damit ein großer Anfang gemacht.
Flächendeckende Angebote für (potentielle) Täter*innen
Das neue bayerische Netzwerk von Fachstellen für Täter*innenarbeit wird durch das Bayerische Staatsministerium für Familie Arbeit und Soziales finanziert. Alle zwölf Stellen werden von der landesweiten Koordinierungsstelle gegen häusliche und sexualisierte Gewalt mit Sitz in München koordiniert und vernetzt. Die Bayerische Staatsregierung sieht in der Arbeit der Fachstellen auch einen wichtigen »Präventionsbaustein«, der die »generationenübergreifende Weitergabe von Opfer- und Täterverhalten« unterbrechen kann.
Die mittelfränkische Fachstelle »RESPEKT!« wird paritätisch von Stadtmission Nürnberg und dem Treffpunkt e.V. getragen. Beide Träger bringen mehrere Jahrzehnte Erfahrung aus der Arbeit mit Inhaftierten und gewaltbezogenen Straftätern*innen mit. Geleitet werden sie von der Überzeugung: »Täterhilfe ist Opferschutz«
Kontakt:
RESPEKT! Fachstelle Mittelfranken
Täter*innenarbeit häusliche Gewalt
c/o Treffpunkt e.V.
Fürther Str. 212 | 90429 Nürnberg
(0911) 27 47 69 – 615