NÜRNBERG. »Hilfe für suchtkranke alte Menschen (SAM)«, so heißt das neue und bayernweit einmalige Modellprojekt des Suchthilfezentrums Nürnberg, mit dem - trägerübergreifend - die hiesigen Einrichtungen der Altenhilfe mit den örtlichen Suchthilfestellen vernetzt werden sollen. Einen »Strukturaufbau« nennt das der Suchtbeauftragte der Stadt Nürnberg, Norbert Kays, den die Kommune dringend brauche, um die Versorgung von immer mehr alternden, pflegebedürftigen Suchtmittelkonsumenten nicht weiter nur in Einzelfällen sondern flächendeckend zu regeln.
Projektetappen
Ganz konkret hat sich das Suchthilfezentrum der Stadtmission (SHZ) für die kommenden drei Jahre Folgendes vorgenommen:
Den leitenden Mitarbeitenden in stationären und ambulanten Altenhilfeeinrichtungen bietet das SHZ an, sie bei der Organisationsentwicklung für ihr Haus zu unterstützen.
Beraten und begleitet durch einen Fachcoach können diese hauseigene Interventions- und Hilfekonzepte entwickeln und ihre Mitarbeitenden für die Bedarfe suchtkranker, suchtgefährdeter und abstinent lebender Senioren/-innen schulen. »Damit wird sich sowohl die Lebensqualität der betroffenen Frauen und Männer wie auch die Sicherheit der Pflegenden im tägichen Miteinander verbessern«, stellt Erica Metzner, Leiterin des Suchthilfezentrums, in Aussicht.
Darüber hinaus startet das SHZ für Angehörige von suchtkranken Senioren ab 05. April eine offene Informations- und Selbsthilfegruppe im Christine-Kreller-Haus.
Denn gerade bei Menschen, die Alkohol und Medikamente schon seit etlichen Jahren missbräuchlich konsumieren, potenzieren sich die Folgeprobleme mit zunehmende Lebensalter – das belastet, ja überfordert bisweilen die erwachsenen Kinder. In der vierzehntägigen Selbsthilfegruppe werden sie ab sofort fachlich wie emotional unterstützt und sie entlasten sich im Austausch mit ähnlich Betroffenen. »Suchtkrankheiten sind immer Familienkrankheiten - im Alter verschärft sich diese Situation nochmals erheblich«, so Erica Metzner. Dass derart doppelt belastete Menschen dringend Unterstützung brauchen, bestätigt auch die Statistik: So haben sich die Zahlen hilfesuchender Angehöriger von suchtkranken Senioren in den letzten drei Jahren im SHZ verdreifacht.
Beate Schwarz, Projektverantwortliche von »Hilfe für suchtgefährdete, alte Menschen (SAM)« berichtet am Donnerstag beispielhaft, wie sich Suchtprobleme bei alten Menschen äußern und doch häufig fehlinterpretiert werden: »Dann hat die alte Mutter keinen Appetit, zieht sich zurück, wirkt vergesslich und stürzt immer häufiger und alle glauben, dass läge ganz offensichtlich und ausschließlich am Altwerden.« Oder anders: Der 84-Jährige im Seniorenheim bekommt selten Besuch, ist oft depressiv und gönnt sich täglich seinen Schnaps. Und diejenigen, die es beobachten, glauben, man müsse ihm diesen Trost, dieses kleine Laster doch lassen. »Falsch«, sagt Schwarz und weist darauf hin, dass eine Sucht auch bei alten Menschen nichts mit Genuss und Trost zu tun habe. Sie lege vor allem tieferliegende Verletzungen offen, mit denen Betroffene allein nicht fertig würden.
Wie jenen suchtkranken, alten Menschen im Einzelfall bestmöglich geholfen werden kann – dafür gebe es keine Patentlösungen, betont Schwarz. Deshalb setzt das Modellprojekt auf individuell erarbeitete Interventions- und Hilfeprogramme, an denen sich Pflegefachkräfte und Alltagsbegleiter der Senioren orientieren können und so selbst Handlungssicherheit gewinnen.
Denn bis dato fehlt es flächendeckend an Pflegeeinrichtungen, die sich für suchtkranke Menschen spezialisiert haben. Ausdrücklich wahrgenommen werden alte Suchtmittelkonsumenten bisher nur über das Krankenhilfesystem, heißt in spezialisierten Reha-Einrichtungen. Dagegen ist bereits jetzt aus Studien bekannt, dass in stationären Altenhilfeeinrichtungen etwa 10% der Bewohnerinnen und Bewohner ein Alkoholproblem haben (Kutschke, 2012). 25% der über 70-Jährigen wiederum sind dort von Psychopharmaka abhängig (Koeppe, 2010).
Der Rahmen: Öffentliche Förderung und Wissenschaftliche Begleitung
Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird durch das Bayrische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mit 155.000 EUR gefördert. »Wir erhoffen uns aus dem Nürnberger Pilotprojekt erprobte Konzepte, mit denen wir die Pflegelandschaft bayernweit zum Thema weiterentwickeln können«, erklärt am Donnerstag Christian Müller vom Bayrischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP). Auch die Stadt Nürnberg co-finanziert das Projekt über die Heinrich-Gröschel-Stiftung mit 24.000 EUR.
Die in drei Jahren entwickelten Materialien und gesammelten Erfahrungen im Projekt werden abschließend aufbereitet und veröffentlicht. Sie bilden die fachliche Grundlage für den weiteren Ausbau und eine einschlägige Spezialisierung der Pflegelandschaft in der Metropolregion. Die Fakultät für Humanwissenschaften der Universität Bamberg, wird, verantwortet durch Prof. Dr. Jörg Wolstein, die Wirkung der im Projekt etablierten Hilfemodule wissenschaftlich evaluieren.