NÜRNBERG. Seit zwei Jahren hilft das Suchthilfezentrum (SHZ) Altenhilfeeinrichtungen dabei, sich auf suchtkranke Senioren einzustellen. Auch Angehörige, die sich zuhause um Partner oder Eltern mit Suchtproblemen kümmern, werden vom SHZ begleitet.
Pflegefachkräfte wünschen sich mehr Weiterbildung
Dass ein eigenes Suchthilfe-Angebot für die Zielgruppe 60+ dringend nötig ist, zeigt ein Blick in die bundesweite Statistik: Etwa 10% der Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Pflegeeinrichtungen haben ein Alkoholproblem, 25% der über 70-Jährigen in den Pflegeheimen sind Schätzungen zufolge von Medikamenten abhängig. Auch Prof. Dr. Jörg Wolstein, Psychologe und Sozialmediziner der Universität Bamberg, kann dazu frische Zahlen liefern. Er begleitet das SAM-Projekt der Stadtmission seit 2017 wissenschaftlich. So halten die von ihm befragten Pflegefachkräfte etwa 27% ihrer Klienten*innen für suchtgefährdet oder süchtig. Demgegenüber wünschen sich etwa 70% der Pflegenden mehr Fortbildung, um angemessen mit den Betroffenen umgehen zu können. Obwohl in fast allen Einrichtungen Suchtfragen »täglich relevant« seien, hätten die Häuser ihr Personal dafür sehr unterschiedlich gewappnet, erklärt Wolstein. Mit Blick auf das laufende SAM-Projekt meint der Psychologe deshalb: »Wenn es gelingt, das Modellprojekt zu einem regulären Angebot für die Pflege zu machen, würde das die Arbeit der Teams erheblich erleichtern. Wer geschult ist, weiß sich zu verhalten. Das entlastet im Alltag.«
Vorbild und Pionier: Das Adolf-Hamburger-Heim
Als eine von vier Pflegeeinrichtungen, darunter auch ein ambulanter Dienst, hat das Adolf-Hamburger-Heim aus Nürnberg 2017 begonnen, den Umgang mit suchtgefährdeten Menschen in seinem Haus zu klären. SAM-Projektleiterin Beate Schwarz hat mit den Führungskräften des Hauses Leitlinien erarbeitet und Mitarbeitende aus Pflege, Sozialdienst und Verwaltung intensiv geschult. Diese wissen jetzt, wie sie das Thema bei ihren Bewohner*innen ansprechen können. Heimleiter Wolfgang Brockhaus: »Wir sind mit unseren konsumierenden Bewohnern raus aus der Konfrontation in eine Vereinbarungskultur gekommen.« Der »erhobenen Zeigefinger« sei dabei fehl am Platz und auch zum Entzug werde keiner gedrängt. »Wir sprechen aber offen über Begleiterscheinungen, die uns auffallen. Zum Beispiel, wenn Bewohner wegen ihre Pegels häufig stürzen.« So erzählt Wohnbereichsleiterin Cristiane Konrad beispielhaft von einer alkoholabhängigen Bewohnerin: »Sie hat durch unsere Gespräche so viel Vertrauen gewonnen, dass sie uns jetzt immer Bescheid sagt, wenn sie einen Wein trinkt. Wir schauen dann häufiger nach ihr.« Inzwischen trinke sie weniger und stürze seltener, freut sich Konrad. Auch Brockhaus ist stolz auf Erfolge wie diesen. »Wir haben alle mehr Handlungssicherheit gewonnen«.
Modellprojekt soll ein Standardangebot werden
Nach zwei Jahren Projektlaufzeit ist erst ein Anfang gemacht. Ob von den etwa 80 Pflegeheimen in Nürnberg immer mehr beginnen, hauseigene Suchthilfe-Konzepte zu entwickeln, hängt auch davon ab, wie es mit SAM weitergeht. Das Suchthilfezentrum wirbt um eine Regelfinanzierung. »Sucht im Alter wird uns als Thema in unserer Gesellschaft noch lange erhalten bleiben«, meint Erica Metzner, Leiterin des Suchthilfezentrums der Stadtmission. Sie hofft deshalb, dass von den ersten Modelleinrichtungen, die im SAM-Projekt gestartet sind, auch ein Signal ausgeht: »Das sind großartige Beispiele, die andere motivieren, sich auf den Weg zu machen.«
Das SAM-Projekt wird durch das Bayrische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert. Die Stadt Nürnberg beteiligt sich mit ihrer Heinrich-Gröschel-Stiftung durch eine Teilfinanzierung.