NÜRNBERG. Am 15. Januar hat die Bayerische Staatsregierung einen Entwurf für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) vorgelegt. Während nur etwa 10% des Gesetzestextes tatsächlich den Ausbau von Hilfen thematisieren, definieren 90% des Gesetzes Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, die vermeintlich von Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgehen.
»Dieser Entwurf hat den Namen Hilfegesetz nicht verdient«, sagt Elke Ernstberger, Leiterin des Bereiches »Psychische Erkrankungen« bei der Stadtmission Nürnberg. Es befeuere die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen, vor allem weil es ihre Unterbringung mit dem Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter vermenge. Das schüre die Angst Betroffener vorm Hilfesystem und befeuere ihre Stigmatisierung: »Psychisch Erkrankte werden hier mit gefährlichen Straftätern gleichgesetzt, das verzerrt die Wirklichkeit, sagt Anke Frers, Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Stadtmission Nürnberg. Laut einer Studie des Robert-Koch-Institutes seien nur 2,4 % der psychisch Kranken von Psychosen betroffen, die ursächlich für ein erhöhtes Gefahrenpotential sein können. »Die allermeisten sind dabei selbst- und nicht fremdgefährdend «, erklärt Frers weiter.
Gesetz macht Angst vorm Hilfesystem
36 von 40 Paragrafen des neuen, sogenannten Hilfegesetzes regeln die (Zwangs-)Unterbringung psychisch Erkrankter. Festgesetzte Besucherzeiten, Videoüberwachung und Leibesvisiten von Patienten – all das wäre künftig auf bayerischen Psychiatrie-Stationen erlaubt und würde dort für Gefängnisatmosphäre sorgen, so Brigitte Richter vom Selbsthilfeverein Pandora e.V. Sie zeigt sich über die geplante »Unterbringungsdatei« besonders empört: Sensible, personenbezogene Daten von Patienten würden darin laut Gesetzentwurf bis zu fünf Jahre gespeichert und wären dort für Polizei und Kreisverwaltungsbehörden einsehbar. »Vollkommen unangemessen und inakzeptabel ist das«, sagt Richter und nennt ein Beispiel: »Auch eine junge Frau, die aufgrund einer Wochenbett-Depression als suizidgefährdet gelte und eingewiesen werden müsste, wäre dann noch Jahre nach einer solchen Krise polizeibekannt.«
»Ein solches Gesetz hält Menschen, die in psychischen Krisen und Krankheiten stecken davon ab, sich Hilfe zu holen. Das ist fatal«, sagt Anke Frers Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadtmission Nürnberg. Insofern berge das Gesetz mehr Risiken als Chancen für Betroffene.
Fortschritte beim Krisendienst
Als großen Fortschritt begrüßen Vertreter von Stadtmission Nürnberg und Pandora e.V. den flächendeckenden Ausbau der Krisendienste in Bayern, der im Gesetzentwurf zum PsychKHG vorgesehen ist. »Das wäre ein Meilenstein«, so Elke Ernstberger. Bisher gibt es solche Dienste nur in Mittelfranken und Oberbayern. Eine landesweite Versorgung könnte die vielen (Zwangs-)Unterbringungen in Bayern tatsächlich reduzieren, meint Ernstberger. Bisher ist der Freistaat erschreckender Spitzenreiter in der Bundesrepublik: In Bayern werden etwa doppelt so viele Menschen in psychischen Ausnahmezuständen zwangseingewiesen als im Nachbarland Baden-Württemberg.
»Wir befürchten, dass dieser Gesetzentwurf bis zum Ende der Legislaturperiode durchgepeitscht wird«, erklärt Ernstberger. Das sei auch deshalb ärgerlich, weil damit viel inhaltliche Vorarbeit für ein modernes Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz unberücksichtigt bliebe, die Fachvertreter, Betroffene und politische Akteure bereits 2015 im Rahmen eines Runden Tisches geleistet hätten. Denkbar für die Vertreterinnen der Stadtmission sei, dass bis zum Sommer der Hilfeteil vom Unterbringungsteil im Gesetzentwurf getrennt und konkretisiert werde, damit ein PsychKHG in Kraft treten könne. Die Neuregelungen zur Unterbringung dagegen seien in ihrer bisherigen Form inakzeptabel.
Am 24. April hört der gesundheitspolitische Ausschuss des Landtags in München erneut Experten zum vorliegenden Entwurf des PsychKHG an.