»Ich wüsste nicht, wo ich heute stehen würde ohne diese Werkstatt«, sagt Tanja D., die ihren täglichen Dienst seit einigen Tagen in den neuen Gewerberäumen der Therapeutischen Werkstatt an der Tafelfeldstraße antritt. Hier arbeitet sie »unten im Lager«, nimmt Ware an, verpackt die von den Kollegen*innen montierten Industrieprodukte und kümmert sich um deren Versand. Den Großteil ihrer Arbeitszeit verbringt sie allein, Tanja D. braucht es so. »Mich überfordern Menschen, ich habe viel mit Sozialphobien zu kämpfen«, erzählt sie. Zudem könne sie es kaum unter der Maske aushalten, die seit der Pandemie alle Kollegen*innen an den Montageplätzen im Großraum tragen müssen. Bei der 41-Jährigen habe das Panik ausgelöst. Umso dankbarer ist sie, dass das Anleiterteam der Therapeutischen Werkstatt schnell reagierte und ihr einen separierten Arbeitsplatz im Lager einrichtete.
»Die Therapeutische Werkstatt, die Arbeit, das vertraute Setting hier, das war ein Anker für unsere Klienten im zurückliegenden Pandemiejahr«, betont auch Simon Weghorn, der die Therapeutische Werkstatt der Stadtmission leitet. Bis zu 250 Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind derzeit an die Einrichtung angebunden und können hier unter enger Betreuung arbeiten. Neben Produktmontagen und Verpackungsarbeiten, erledigen sie Möbelreparaturen, bearbeiten große Versandaufträge oder digitalisieren Bilder. Für die einen geht es dabei um eine übergangsweise Rehabilitation, andere sind hier langfristig angebunden, um die eigenen Fertigkeiten nicht zu verlieren und psychisch stabil zu bleiben.
Pandemie beschleunigt Aus- und Umbau
Sechs Wochen blieb die Therapeutische Werkstatt im Frühjahr 2020 für Klienten*innen geschlossen: Simon Weghorn und sein Team telefonierten stattdessen täglich mit ihren Klienten*innen. Manche von ihnen erledigten in dieser Zeit die Montagearbeiten aus der Werkstatt zu Hause am Küchentisch, einfach um die Leere des Tages mit vertrauter Beschäftigung zu füllen. Das Werkstattteam arbeitete unterdessen ein komplexes Hygienekonzept aus, mit dem schließlich »seit Mai 2020 durchgängig wieder alle Klienten regelmäßig vor Ort beschäftigt werden« konnten. Drei kurze Schichten mit kleiner Besetzung statt zwei große, Masken für alle, Umbau der Montageräume und schließlich ein zweiter Standort – all das war Teil dieses Corona-Bewältigungsplans. »Wir waren gut vorbereitet, die Leute haben sich hier sicher gefühlt – und das obwohl Ängste und Panikstörungen extrem verbreitet sind« so Weghorn.
Selbst in psychischen Akutphasen dabei
Auch Tanja D. hat »Corona an die eigenen Grenzen gebracht«, vor allem in der ersten Welle im Frühjahr 2020, als sie nicht in die Werkstatt konnte. Sie brauche die feste Struktur, eine Aufgabe und Menschen, die ihr vertrauen. »Eigentlich haben mir Menschen überhaupt das erste Mal hier in der Therapeutischen Werkstatt Vertrauen entgegengebracht. Das kannte ich vorher nicht«, bemerkt sie. Es könnte nur so dahingesagt sein, doch es steckt eine lange Geschichte dahinter: 15 Jahre ihres Lebens hatte die junge Frau in einer Psychiatrie verbracht, bevor sie in die Therapeutische Werkstatt kam. Kaum einer hatte ihr damals zugetraut, dass sie jemals ein selbstständiges Leben führen könne. Doch elf Jahre später hat sie es nicht nur geschafft ein regelmäßiges Arbeitsleben durchzuhalten, sondern sich auch einen eigenständigen Alltag in eigener kleiner Wohnung aufgebaut.
Dass die Therapeutische Werkstatt der Stadtmission zu diesem Erfolg wohl einiges beigetragen hat, ahnt, wer Simon Weghorn über die Betreuungsphilosophie seines Teams sprechen hört: »Der Schlüssel liegt für uns in der Wertschätzung der Klienten. Die Schwere der psychischen Erkrankung spielt erstmal eine untergeordnete Rolle.« Die wichtigste Frage in der Werkstatt sei, wie man die Leute stützen und ihnen hier ein passendes, tragfähiges Setting schaffen könne. Und nicht, welche Mindestanforderungen ein Mensch mitbringen müsse, damit er zur Einrichtung passt. »Wir bleiben selbst in psychischen Akutphasen dabei.«