Urmisstrauen überwinden: Mission eines Berufslebens

Seit 1987 leitete Walter Knöbl die sozialtherapeutische Wohngemeinschaft für Strafentlassene in Nürnberg. Am 30. April ist der Sozialwissenschaftler und Familientherapeut in den Ruhestand verabschiedet worden. Seine bisherige Stellvertreterin, Brigitte Rupp, ist ihm als Einrichtungsleiterin nachgefolgt.

»Länger als fünf Jahre dürfen Sie das nicht machen.« Über den gutgemeinten Rat seines Vorgängers muss Walter Knoebl heute schmunzeln. Denn am Ende hat es Knoebl  nicht nur 32 Jahre mit seinen Haftentlassenen ausgehalten, sondern die landesweite Sozialarbeit mit dieser Klientel mit Hartnäckigkeit vorangetrieben. Begonnen hatte er in den Achtziger Jahren als noch junger Absolvent der Sozialwissenschaften im Arbeitskreis Resozialisierung, von dem ehemalige Straftäter ambulant in und nach der Haft betreut wurden. Damals habe es fast gänzlich an »konzeptionellen Grundlagen« für die Sozialarbeit mit schweren Straftätern gefehlt – eine Lücke, die Knöbl mit einigen Kollegen schließen wollte. So stellte er als neuer Leiter ab 1987 auch den Wendepunkt. Sozialtherapie, der erst seit 2007 diesen Namen trägt, auf neue Füße: Er verkleinerte die Einrichtung von 27 auf 18 Wohnplätze, intensivierte hingegen die sozialtherapeutische Arbeit im Haus. Klienten blieben nun nicht mehr durchschnittlich zwei Monate sondern ein bis drei Jahre in der Einrichtung.

Ein weiterer Meilenstein gelang zu Beginn der Tausender Jahre: Die Zahl der ehemaligen Sexualstraftäter war in den sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen Bayerns stark angestiegen. Und obwohl die allermeisten von ihnen die gerichtliche Auflage hatten, sich in therapeutische Behandlung zu begeben, fehlten landesweit niedergelassene Psychotherapeuten, die bereit waren, sich dieser Klientel zu widmen. Gemeinsam mit dem Leiter des Münchner Bodelschwingh-Hauses entwickelte Walter Knöbl daraufhin ein Konzept für therapeutische Fachambulanzen, mit dem sie das Bayerische Justizministerium schnell überzeugten. 2008 und 2009 wurden die ersten Psychotherapeutischen Fachambulanzen für Sexualstraftäter in München und Nürnberg eröffnet.

»Sie haben enorm viel Wissen, Engagement und Nerven in die Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen und die Entwicklung unserer Einrichtung investiert«, bilanziert Gabi Koszanowski, Bereichsleiterin bei der Stadtmission Nürnberg für Gefährdetenhilfe, Beratungsdienste und Chancen für junge Menschen. Das sei ein Segen für die Betroffenen, viele Kollegen und die Stadtmission selbst gewesen, so Koszanowski weiter.

Auch Knöbl selbst blickt dankbar auf seine Berufsjahre zurück. Seine Arbeit habe ihm bewusst gemacht, dass er selbst wahnsinnig viel Glück gehabt habe im Leben. Ob Menschen schwere Straftaten begingen, abrutschten, das sei  oft eine Frage von Zufällen. »Es gibt aus meiner Sicht keine guten und keine schlechten Menschen. In Extremsituationen ist jeder zu allem fähig.« Die Männer, die nach ihrer Haftstrafe im Wendepunkt zurück in Freiheit und Gesellschaft finden, hätten oft eines gemeinsam: Ein fundamentales Misstrauen gegen andere erwachsene Menschen, weil sie selbst – oft noch als Kinder – über Jahre Missachtung, Misshandlung und Missbrauch erlebt hätten. Dieses Urmisstrauen habe Mensch und Biografie geprägt, erklärt Knöbl. Es zu überwinden, sei A und O der sozialtherapeutischen Arbeit im Wendepunkt. Deshalb habe für ihn und sein Team immer gegolten: »Wir geben niemanden auf.«

 

Wendepunkt. Sozialtherapie ist eine Einrichtung der Stadtmission Nürnberg und besteht seit 1975. In der Wohngemeinschaft entwickeln bis zu 19 haftentlassene, ehemalige Straftäter durch Sozial- und Arbeitstherapie sowie vielerlei Lern- und Sportangebote eine Perspektive für ihr Leben in der freien Gesellschaft. Die Bewohner kommen aus ganz Bayern.

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg