Mit einem Gottesdienst und anschließender Begegnungszeit endet am Mittwochnachmittag die Amtszeit von Pfarrer Matthias Ewelt in Stadtmission Nürnberg und Diakonie Erlangen. Der 1965 in Gunzenhausen als Sohn eines Schuhmachers und einer Hauswirtschafterin geborene Theologe war seit 2017 Vorstandssprecher des diakonischen Unternehmensverbundes mit 1.900 hauptamtlichen Mitarbeitenden. Er studierte in Erlangen und Heidelberg und war als Vikar in der fränkischen Schweiz und einer Gemeinde im US-amerikanischen Atlanta eingesetzt. Ab 1994 arbeitete er als Pfarrer in unterschiedlichen fränkischen Gemeinden, wurde 2010 Dekan im Dekanatsbezirk Neustadt/ Aisch und wechselte 2017 vollzeitlich von der Evangelischen Landeskirche Bayern (ELKB) zur Diakonie. Nach fünf Jahren als Theologischer Vorstand der Stadtmission Nürnberg und der Diakonie Erlangen übernimmt Matthias Ewelt im Oktober 2022 in Neunkirchen die Geschäftsführung der Diakonie Saar ebenso wie das Amt des saarländischen Diakoniepfarrers.
In seiner Abschiedspredigt griff Ewelt am Mittwoch einen Vers aus dem Petrusbrief auf: »All eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch«. Dieses Gebot sei nicht nur für Menschen in Not und Elend formuliert, sondern richte sich vornehmlich an »Führungskräfte und Leute, die Verantwortung tragen.« Er sei ein »phänomenales Angebot« Gottes und gleichzeitig »nichts für Feiglinge«. Denn es koste »Muskelkraft und Überwindung«, die eigene Last mit Entschiedenheit abzugeben an den, der tragen könne. »Der Blick auf Gott, das Loswerden meiner Sorgen bringt in Beziehung zu ihm, genauso wie zu den Menschen. Sie sind dann keine Klienten, keine Mitarbeitenden, keine Chefs, keine Opfer, keine Täter, keine Bewohnerinnen. Sie sind geeint im Füreinander«, so Ewelt in seiner Predigt.
Selbstbewusst kirchlich
Auch in seiner aktiven Amtszeit beschäftigte sich der Theologe schwerpunktmäßig mit kirchlich-diakonischen Grundsatzfragen im Unternehmensverbund. »Wir sind gut beraten, wenn wir uns in der Diakonie als kirchlicher Träger profilieren und nicht als eines von vielen Sozialunternehmen lediglich einen diskreten kirchlichen Anstrich versehen«, betonte Ewelt und führte aus, was dieses Profil ausmache: »Wir berufen uns auf Christus und nicht auf uns selbst. Wir vertrauen einander, weil wir wissen, dass Gott durch uns wirkt. Wir stehen zueinander, weil auch Gott uns unterschiedslos anerkennt.« Es sei ihm immer wichtig gewesen, dieses Selbstverständnis im diakonischen Miteinander zu stärken – auch unter immer mehr konfessionslosen Mitarbeitenden.
Umgekehrt wünsche er sich, dass die »verfasste Kirche« ihrerseits stärker für die Diakonie eintrete – auch gegenüber öffentlichen Entscheidungsträgern. So sehe er das Subsidaritätsprinzip zunehmend bröckeln: »Wir müssen gegenüber der Politik einfordern, dass soziale Fürsorgeaufgaben, die die Diakonie vom Staat übernimmt, auch auskömmlich finanziert werden. Wir können nicht auf Kosten der eigenen Mitarbeitenden für jede von uns übernommene, gesetzlich verankerte Hilfe- und Fürsorgeleistung noch Geld zuschießen.«
Die Diakonie sei in einer zunehmend »entchristlichten Gesellschaft« der Ort, wo die allermeisten Menschen noch erleben, wie »gelebte Kirche« wirkt. »Die Diakonie ist also existenzsichernd für Menschen und Kirche«, bilanziert der 57-Jährige.
Diakonie als sozialer Kitt
Auf die soziale Lage in der Region blickt Ewelt hingegen besorgt. »Der Pflegenotstand, auf den wir seit Jahren hinweisen, wächst sich zu einer Pflegekatastrophe aus. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt viel schneller als sich Zahl und Umstände der pflegenden Fachkräfte verbessern.«
Alarmiert habe Ewelt in seiner Zeit als Diakonievorstand in Nürnberg auch beobachtet, wie sich »die Armut im städtischen Ballungsgebiet verfestigt und selbst verstärkt«. Es habe in den letzten fünf Jahren keinen einzigen, mutigen politischen Wurf gegeben, der Armutsspiralen auflöse. Alleinerziehende, psychisch instabile, oftmals zugleich arbeitssuchende Menschen, Familien mit Niedrigeinkommen, arme Rentnerinnen – für sie alle verschärfe sich seit Jahren die Lebenssituation. »Existenzsorgen und Lebensperspektiven hängen 1:1 zusammen. Mindestens ¼ der Bevölkerung in Deutschland fehlt das Geld für das Lebensnotwendigste. Solche Lebenslagen machen krank, potenzieren und vererben sich.« Die Leistungsgesellschaft sei eine Illusion, man lebe in einer chancenungleichen Erfolgsgesellschaft, die zu viele Menschen und ihr Potenzial übergehe. Deshalb ärgere es ihn, dass selbst Sozialpolitik in unserem Land häufig von Neiddebatten getrieben statt von Zukunftsbewusstsein geleitet werde. »Mit den tiefer werdenden sozialen Gräben wird die sozial-diakonische Arbeit immer wichtiger. Auch wenn wir es uns andersherum wünschen.«
Dankbar sei er darüber, dass in Nürnberg Kommune und Bürger*innen für die zunehmende materielle und soziale Not vieler sensibilisiert seien und gemeinsam versuchten, Löcher zu stopfen. Auffällig steigende Spendenaufkommen für die Arbeit von Stadtmission und Diakonie Erlangen oder die 2021 mit der Stadt realisierte Eröffnung einer zweiten Wärmestube im Zentrum Nürnbergs seien in Ewelt Amtszeit wichtige Signale in dieser Richtung gewesen.
Neuaufstellung der Spitze noch 2022
Voraussichtlich im Herbst 2022 werden Stadtmission Nürnberg und Diakonie Erlangen eine*n neue*n Vorstandsvorsitzende*n bekommen. Der diakonische Unternehmensverbund wird dann durch ein Duo aus vorsitzendem Vorstand und Finanzvorstand geführt. In dem Unternehmensverbund werden sie die Entwicklung von 70 Einrichtungen und Diensten sowie elf Tochtergesellschaften verantworten, in denen 1.900 hauptamtliche und über 600 ehrenamtlich Mitarbeitende beschäftigt sind.