»Die Familie ist das Wichtigste, zusammen kann man alles meistern«, für Sonja M.* ist dies keine hohle Phrase, sondern Lebenswirklichkeit. Als ihr Ehemann vor zwei Jahren seine Gefängnisstrafe antrat, musste sie sich und ihre Kinder allein durch den Alltag bringen. Hierzu gehörten auch die regelmäßigen Besuche bei ihrem Mann in der JVA. »Ob Regen oder Schnee, jeden zweiten Freitag bin ich mit den Kindern mehrere Stunden mit dem Auto gefahren, um ihn dann für eine Stunde zu sehen. Das war nicht immer leicht.« Auch für ihren Mann Peter* war der Kontakt zur Familie »lebens«wichtig: »Familie gibt Stärke. Im Gefängnis lebt man wie in einer Zeitkapsel, während sich draußen alles weiterentwickelt. Da verliert man schnell den Anschluss.«
Pfarrer Ralf Grigoleit, Gefängnisseelsorger in der JVA Bayreuth, kennt das aus seiner täglichen Arbeit: »Für die Kinder und Partnerinnen der Strafgefangenen ist die Haft des Vaters oder Partners eine sehr schwere Zeit. Kaum eine Beziehung übersteht eine Haft, die länger als sieben Jahre dauert.« Auch wenn der Kontakt bestehen bleibt, so Pfarrer Grigoleit, zerbrechen viele Ehen dann kurz nach der Entlassung: »Die Frauen und Kinder haben sich weiterentwickelt und viele der zurückkehrenden Väter können sich nicht an die veränderten Bedingungen gewöhnen. Manche fallen dann in ihre alten Verhaltensmuster zurück und werden rückfällig.«
Erfahrungen, die auch Friedrich Leinberger, Leiter des Arbeitskreises Resozialisierung der Stadtmission Nürnberg, teilt: »Mehr als ein Drittel aller Strafgefangenen wird innerhalb von drei Jahren nach der Entlassung wieder rückfällig. Das Zerbrechen der Ehe, der Verlust der Familie während oder durch die Zeit im ‚Knast‘ gehören zu den Hauptgründen für das Scheitern. Für uns ist deshalb eine intakte Familie die beste Garantie für ein Leben ohne weitere Straftaten«.
Um Strafgefangenen und ihren Angehörigen zu helfen, gibt es seit 1977 in Bayern sogenannte Familienseminare. »Die Seminare geben den Familien in ihrer schwierigen Situation Gelegenheit, sich für einen begrenzten Zeitraum wieder als Familie zu erleben«, so Leinberger. »Frauen erfahren die Solidarität anderer Betroffener und die Kinder können ungezwungen mit anderen spielen ohne Angst zu haben, etwas Falsches zu sagen oder gar gehänselt zu werden«. Ursprünglich von der Evangelischen Landeskirche und dem Diakonischen Werk Bayern initiiert, sind die Seminare seit 15 Jahren in der Trägerschaft der Stadtmission Nürnberg.
Jährlich nehmen bis zu 10 Gefangene mit ihren Familien an dem zehntägigen Seminar teil. Seit 1977 waren es insgesamt 475 Familien. Voraussetzungen hierfür sind u.a. dass die Gefangenen bereits gewisse Hafterleichterungen genießen und ihre Reststrafe nur noch maximal 18 Monate beträgt.
Ein Seminar kostet ca. 70.000 €. Davon trägt den Freistaat Bayern 25.000 €, die Evangelischen Landeskirche und das Diakonischen Werk Bayern 17.000 € sowie der Bayerische Gefangenenfürsorgeverein 10.000 €. Die Stadtmission trägt, einschließlich Spenden, 18.000 € bei.
»Das Seminar war nicht nur Vergnügen, sondern auch Arbeit«, fasst Peter M. seine Erfahrungen zusammen. »Erst dachte ich mit dem gemeinschaftlichen Singen und Spielen, ich wäre im Kindergarten, aber als die Kinder abends mit mir zusammen Karten gespielt haben, war das etwas Neues für mich. Das haben sie vorher nie gemacht.« Auch seine Frau Sonja erinnert sich besonders an das Glück ihrer Kinder: »Sie hatten den Papa zehn Tage für sich und haben seine Nähe gesucht. Eigentlich hätte er drei Knie haben müssen, um sie alle gleichzeitig auf den Schoß zu nehmen.«
Dank des Seminars waren Peter M. und seine Familie auf die Zeit nach seiner Entlassung im Juni dieses Jahres besser vorbereitet. Zwar muss er noch seinen Platz in der Familie und als Vater und Ehemann finden, aber die Eheleute schauen zuversichtlich in die Zukunft: »Gegen eine Familie kann nichts ankommen.«
* Name geändert