»Hier ist die Flucht vorbei«

LISA JANECK

leitet die neue Einrichtung für unbegleitete minderjährige Schutzsuchende. Sie ist eine geschätzte und gleichzeitig gefürchtete Spielpartnerin beim Kickern, weil sie oft gewinnt. Das Kickern hilft, mit den Jugendlichen in Kontakt und ins Gespräch zu kommen.

Der Weg führt an einer verwaisten Rezeption vorbei. Wandleuchten verströmen ein warmes Licht in den langen Fluren. Alle Zimmer sind nummeriert, jedem ist ein kleines Bad angeschlossen. Wo früher Hotelgäste übernachteten, leben seit einigen Monaten junge Flüchtlinge. Das Erlanger Jugendamt hat sie in Obhut genommen: Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren, die unbegleitet, also ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen sind.

Sie finden hier ein Dach über dem Kopf – und so viel mehr: Sie werden an 365 Tagen rund um die Uhr pädagogisch betreut. »Unsere Einrichtung ist für die jungen Schutzsuchenden ein sicherer Ort, der signalisieren soll: Bei uns ist deine Flucht zu Ende«, erklärt Christian Debebe, stellvertretender Bereichsleiter der Kinder- und Jugendhilfe bei der Stadtmission Nürnberg e.V. Die Einrichtung ist ein Zuhause auf Zeit, in der das Team um Einrichtungsleiterin Lisa Janeck gemeinsam mit den Schutzsuchenden die ersten Weichen stellen will. Für eine Zukunft, für Perspektiven.

»Aufstehen!« Eine Mitarbeiterin des interdisziplinären Teams geht von Zimmer zu Zimmer und klopft an die Tür. Die Morgenrunde gehört zur Morgenroutine. Einige Bewohner sind längst wach, aus der Gemeinschaftsküche dringt Toastgeruch. Es gibt feste Zeiten für die Mahlzeiten, einmal am Tag wird gemeinsam gekocht. Auf Strukturen und einen geregelten Tagesablauf legt Einrichtungsleiterin Lisa Janeck Wert. Was für Kinder und Jugendliche generell wichtig ist, wiegt umso schwerer, wenn die eigene Welt aus den Fugen ist.

Trauma im Gepäck

Alle Kinder und Jugendlichen, die hier ankommen, haben traumatische Erfahrungen im Gepäck. Sie haben ihr Land verlassen, weil dort Krieg herrscht, weil ihre Familien verfolgt werden oder weil sie sich schlicht ein besseres Leben erhoffen. Da trifft der ukrainische Junge, der ohne seine Eltern vor dem Krieg geflohen ist und jeden Tag am Online-Unterricht seiner alten Klasse teilnimmt (»Ich gehe zur Schule«), auf das Straßenkind aus Afrika, das noch nie regelmäßig eine Schule besucht hat.

Sie sprechen Ukrainisch, Arabisch, Englisch, Türkisch, Paschtu, Französisch oder Hausa – und schon ein bisschen Deutsch. Lisa Janeck ermutigt ihr Team, ruhig auf Deutsch mit den Bewohnern zu sprechen. Sprache ist der Schlüssel zu gelingender Integration. Ein Deutschlehrer unterrichtet die Jugendlichen regelmäßig.

»Die jungen Leute wollen am liebsten sofort in die Schule, einen Pass und dann Geld verdienen«, sagt die Leiterin, die die Schutzsuchenden in der Regel als sehr motiviert erlebt. Und dann stoßen sie auf ein schwer zu durchschauendes bürokratisches System aus Gesetzen und Vorschriften – und müssen notgedrungen lernen, sich in Geduld zu üben.

Stadtmission Nürnberg und Diakonie Erlangen kümmern sich auf vielen Feldern um Migranten*innen und Flüchtlinge. Die neue Einrichtung mit ihren zehn Plätzen ist eine Inobhutnahme- und Clearingstelle. Was das heißt? »Wir wollen die Menschen intensiv kennenlernen und ihren individuellen Bedarf ermitteln«, sagt Lisa Janeck. Die Mitarbeitenden erfassen persönliche Daten, suchen nach Familienangehörigen, klären Fluchtgeschichte und Fluchtziel sowie den ausländerrechtlichen Status. Sie schauen, in welcher physischen und psychischen Situation die Ankommenden sind, arbeiten an ihrer emotionalen Stabilisierung und wollen gemeinsam mit den jungen Menschen realistische Perspektiven entwickeln – und das immer in enger Abstimmung mit dem Jugendamt. »Die Zusammenarbeit ist gut, intensiv und effektiv«, fährt die 35-Jährige fort. Drei Monate sollen die Jugendlichen im Schnitt in der Einrichtung bleiben, bevor sie für länger in eine andere Einrichtung umziehen, die zu ihren Bedürfnissen passt.

Kontakt beim Kickern

Lisa Janeck zeigt den Aufenthaltsraum, in der Mitte steht ein Kicker. Die Einrichtungsleiterin ist eine geschätzt-gefürchtete Gegnerin, weil sie oft gewinnt. Manchmal hilft das Kickern, um in Kontakt zu kommen mit den jungen Bewohnern und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, damit sie sich öffnen. Lisa Janeck sprüht förmlich, wenn sie davon erzählt, was sie motiviert. »Es macht einfach Spaß, mit den jungen Menschen zu arbeiten. Sie haben so viel Potenzial.«

Text: Sabine Stoll

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg