Auch Timmy sagt, früher habe es eben Gras und Koks gegeben, heute sei es »eine andere Welt«. Timmy hat heute das erste Mal den Präventionsunterricht für »Gefangene helfen Jugendlichen« durchgeführt und war deshalb etwas aufgeregt. Der 60-Jährige hat erlebt, wie sich 17 Jahre Gefängnis, davon acht am Stück, wirklich anfühlen und was sie mit einem machen. Diese Erfahrung hat er heute mit den Schülern*innen geteilt und sich ihren Fragen gestellt: »Gibt es wirklich Gangs im Gefängnis?« Ja, die Hierarchien unter den Insassen seien ziemlich streng. Timmy beschreibt es als »Subkultur« mit eigenen Gesetzen. Er musste erleben, wie sein Kumpel von Mithäftlingen angegriffen und erstochen wurde. Ein Erlebnis, das er nie vergessen wird. »Geht ihnen der Knast immer noch nach?« Auch heute habe Timmy noch gelegentlich Albträume oder schrecke auf, wenn er einen Schlüsselbund klimpern hört. »Es gibt niemanden, der im Knast nicht weint.« Die Leidtragenden seien aber die Familien draußen, gibt er zu bedenken. Drinnen habe man recht bald einen Automatismus. »Aber man kann doch arbeiten, oder?« Es gibt zwar Jobs, zum Beispiel in der Küche oder der Wäscherei, aber meist reichten die Arbeitsplätze nicht mal für jeden zehnten Gefangenen, sagt Timmy. Und 1,50 Euro ist ein sehr geringer Stundenlohn. Die allermeisten Insassen hätten also nichts zu tun. Es gäbe zwar Planstellen für sozialpädagogische und psychologische Betreuung, die Anzahl sei aber gegenüber hunderten Gefangenen »nur ein Tropfen auf den heißen Stein«. »Wie ist das mit Sex im Gefängnis?« Familienzimmer gibt es in bayerischen Justizvollzugsanstalten nicht.
Und dann war alles anders
Glücklicherweise habe er irgendwann Kontakt zu einem Pfarrer und ehrenamtlichen Seelsorgern*innen gehabt, die sich bemühten, eine Brücke zwischen der Gesellschaft draußen und den Häftlingen zu bauen. Schon in Haft begann Timmy, sich selbst zu engagieren und leitete Gruppen für andere Gefangene. Der christliche Verein »Set free«, ein Netzwerk für Gefangene, das Selbsthilfe und Reintegration fördert, sei ihm dabei »eine große Stütze« gewesen. Nach seiner Entlassung 2016 hat er bei der Stadtmission Hilfe gefunden. Dafür ist er dankbar, denn in den Angeboten sei »Linie drin«. Ein Jahr später traf er eine neue Liebe und hängte sich richtig ins Zeug. Der gelernte Maler fand eine eigene Wohnung und baute sein heute erfolgreiches Transport- und Umzugsunternehmen auf.
Auch über das Leben nach der Entlassung will er die Jugendlichen aufklären. »Nach der Haft ist fast nichts mehr so wie vorher.« Etwa an den Straßenverkehr habe er sich erst wieder gewöhnen müssen. Im Gefängnis sei man abgeschirmt und laufe lediglich seine Kreise im Hof. Viele kommen zudem mit einem riesen Schuldenberg zurück in die Freiheit, weil sie zum Beispiel Prozesskosten bezahlen müssen.
All das vermittelt Timmy durch seinen Einsatz bei »Gefangene helfen Jugendlichen« den Schülern*innen aus erster Hand. Seine eigene kriminelle Laufbahn begann schon im frühen Teenageralter und »der Groschen ist erst zum Schluss gefallen«. Als ältestes Kind eines alkoholkranken und gewalttätigen Vaters habe es ihm an guten Vorbildern gefehlt. Dass er während seiner Haft in der JVA Kaisheim den christlichen Motorradclub Holy Riders kennenlernte, beschreibt er als Anstoß zu seinem neuen Leben. Heute sagt er: »Ich habe meinen ganz persönlichen Vertrag mit Gott.« Die Jugendlichen seien zu locker und leichtgläubig, meint er, die Konsequenzen von ersten kriminellen Handlungen oft nicht klar. Weil er sich damit identifizieren kann, möchte er »aufrütteln« und zeigen, »was tatsächlich los ist« im Gefängnis. Nur wer das mitgemacht hat, könne wirklich »aus dem Nähkästchen« berichten. »Und wenn‘s nur einer ist, dem man hilft.«
Die Schüler*innen möchten so etwas gern öfter machen: Sie habe wirklich viel Neues erfahren, schreibt eine Jugendliche in ihrem anschließenden freiwilligen Bericht, ein anderer meint sogar »mehr als im ganzen Schuljahr vorher«.
Kay Putsche, Leitung des Projekts »Gefangene helfen Jugendlichen«, ist klar, warum. »Die Perspektive von jemandem, der sich ein Leben nach der Gefangenschaft erst wieder hart erkämpfen musste, kannten sie vorher nicht.«
Klassenleiterin Judith Edenreuther wünscht sich mehr Geld für Kinder und Jugendliche, damit sie langfristig begleitet werden.
Text: Anna Thiel