Virtuelle Therapie

Eine junge Frau sitzt in einem Sessel und lässt sich von einer anderen Dame beraten.

In der Jugend-Reha

werden junge Menschen mit psychischen Erkrankungen auf ihren Lebensalltag im gewohnten Umfeld vorbereitet. Therapeuten*innen stehen ihnen zur Seite.

Carla (Name geändert) machen Menschenmengen Angst. Sie fürchtet sich vor Gedränge, Lärm oder Unwägbarem. Wenn von allem zu viel da ist, in der U-Bahn zum Beispiel oder in der Fußgängerzone, »dann überfordert es mich«, sagt die 16-Jährige. »Ich bekomme dann Panikattacken«, fährt sie fort.

Carla ist schon als Kind, mit zehn Jahren, an einer schweren Depression erkrankt. Aktuell wird Carla mit 23 anderen Patienten*innen im Alter von 14 bis 21 Jahren in der stationären Jugend-Reha behandelt. Seit einem Jahr ist die Wohngruppe »Tokio« am Rand des Nürnberger Nordostparks ihr Zuhause. Carlas Mitpatienten*innen leiden ebenfalls an Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, Schizophrenie oder Persönlichkeitsstörungen und haben meist mehrere Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken hinter sich. Die Jugend-Reha will die Zwischenstation sein auf dem Weg zurück ins Leben; in ein Leben, in dem die Erkrankung nicht mehr alles dominiert.

»Ich habe Einzeltherapie, es gibt Gruppenangebote und zum Beispiel soziales Kompetenztraining«, zählt Carla auf. Ein wichtiger Baustein ist das, was Fachleute wie Bärbel List, eine der beiden Einrichtungsleiterinnen, Exposition nennen: also die Konfrontation mit Angst machenden Situationen, um zu lernen, wie man diese bewältigen kann.

Alltag wird zum Kraftakt

Der Gang zum Bäcker, der Weg in die Innenstadt – was für die meisten Menschen selbstverständlich ist, ist für Carla ein Kraftakt. Carla hat diese Situationen zuletzt gut gemeistert. Doch manche Jugendliche haben Schwierigkeiten, diese Übungen im Rahmen der Verhaltenstherapie zu bewältigen. Die jungen Patienten*innen bekommen dann zum Beispiel Panikattacken, die Übung muss abgebrochen werden, was schlimmstenfalls zu einer Retraumatisierung führt.

»Sich dann wieder an so eine Situation heranzutrauen, ist eine große Hürde«, weiß Bärbel List. »Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der neue Anlauf wieder ein Misserfolg wird.« Um solche Frusterlebnisse zu vermeiden, würde die Jugend-Reha gerne die »Virtual Reality«-gestütze Therapie anwenden.  

 

Bei dieser Therapieform können sich Patienten*innen mit Hilfe einer Virtual-Reality-Brille auf imaginäre Weise in Angst machende Situationen begeben. Sie werden dabei von einem*r Therapeuten*in begleitet. Sensoren messen den Puls, das Stresslevel wird überwacht. »Wir können ganz unterschiedliche Szenarien simulieren: Menschenansammlungen, einen Saal mit vielen Zuhörern, vor denen ein Vortrag gehalten werden muss, die Fahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wir können Ängste simulieren: Spinnenphobie, Flug-, Platz- oder Höhenangst oder die Angst vor einem Vorstellungsgespräch«, zählt die Einrichtungsleiterin auf.

Mithilfe einer Virtual-Reality-Brille

können sich Jugendliche zu Übungszwecken ohne Angst in für sie schwierige Situationen begeben.

Notfalls die Reißleine ziehen

Der große Vorteil der virtuellen Konfrontation ist, dass die Szenarien individuell und stufenweise auf die Bedürfnisse der Patienten*innen angepasst werden können. Die Situation ist skalierbar, sie kann darauf eingestellt werden, wie weit die Patienten*innen sind. »Da ist ein Abbruch der Übung in der Regel gar nicht mehr nötig«, fährt List fort. Und wenn doch, gibt es die Möglichkeit, die Reißleine zu ziehen.

VR-Brillen werden bereits an vielen psychiatrischen Kliniken in Deutschland eingesetzt. Die Wirksamkeit wurde in verschiedenen Studien bestätigt. Neben der Therapie von Ängsten hilft VR-gestützte Therapie auch bei der Behandlung von Zwangsstörungen oder Depressionen.  

Aus Carlas Sicht wäre diese Form der Therapie eine große Hilfe. »Auf jeden Fall«, sagt sie, »weil man weiß, dass das keine echte Situation ist.« Und weil das virtuelle Training auf die »echte« Welt vorbereiten kann. »Die Jugendlichen sind dann besser gewappnet und können angstfreier rangehen«, erklärt List.

Doch bislang fehlt es an Sponsoren, um die VR-gestützte Therapie Realität werden zu lassen. Der Finanzierungsbedarf liegt für Hard- und Software sowie Schulungen bei rund 15.000 Euro. Bärbel List: »Es wäre wunderbar, wenn wir die VR-gestützte Therapie mit Hilfe von Spenden in unser Behandlungsspektrum aufnehmen könnten.«

Text: Sabine Stoll

 

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg